»in_sight« Malerei

Ein Plädoyer für den zufälligen Moment und seine tieferen Einsichten

Verena Landaus Malereien treffen so leichthändig wie genau den Modus der beiläufigen Beobachtung. Sie imitieren den Schnappschuss inklusive des Zufalls, der festhält, was die nachträgliche Betrachtung erst offenbart; etwas Seltsames, vielleicht Indiskretes, Grundsätzliches.

Landau wählt als Orte für ihre Ein-Sichten Präsentationsräume im weitesten Sinn: öffentliche Stätten als absichtsvoll inszenierte Offerten an die Wahrnehmung, entsprechend aufgeladen mit Sinn und Funktion: vom Museum über landschaftliche Architektur bis zum botanischen Garten. Die Botschaft des Objekts an die Figur wird in den Malereien zum Ausgangspunkt einer komplexen Beobachtungssituation. Landau zeigt, wie sich die gerichtete Betrachtung auflöst und zu einem unsichtbaren Netz aus Blickachsen und Gedankenlinien weitet. Offensiv oder instinktiv beobachten die Figuren neben dem Objekt ebenso sich selbst, ihre Umgebung, den Nächsten, dessen Beobachtung und weiter. Das löst im Bildgeschehen Spannungen aus, die Landau zur Bedingung und zum Thema der Werkserie »in_sight« entwickelt.

»petrolio« zum Beispiel. Eine klassische Betrachterpose: eine Frau hinter halbrundem Fenster mit Blick auf eine Wasserfläche, die am Horizont von städtischer Architektur begrenzt ist. Der Sog in die geschaute Welt zieht die Figur hinaus, durch das Fenster, in die fixierte Szenerie hinein. Die vergrößert sich wie unter einer Lupe und beginnt zu strahlen. Malerisch durchdringt die Frauenfigur die Struktur der Wand, löst sich als souveränes Subjekt auf und geht ein in das milchig pastellene Blaugrün der venezianischen Lagune. Atmosphärisch ein romantischer Sehnsuchtsmoment, der den gesamten Bildraum erfasst und einfärbt. Anders in »Besuch« - zwei Frauen im Museum. Sie begegnen sich kaum, doch ihre Haltungen prallen aufeinander. In kultiviert koketter Distanz zu den präsentierten Objekten die eine - offenkundig selbstbezogen, fast hermetisch agierend konkurriert ihre Präsenz mit den Exponaten. Auf der anderen Seite in andächtiger Gedankentiefe die zweite. Ihre Hingabe zum Exponat ist in der malerischen Verschränkung mit dem Objekt angelegt. Die farbliche Affinität mit dem Raum, ihre kontemplative Körperhaltung und das abgewendete Gesicht machen sie zum anonymen Gegenentwurf. Eine kühle Distanz schwingt durch den Bildraum.

Zu Ausdruck und Wirkung kommen die Spannungen in der Zusammenfassung zu einer Erzählstimme. Die Künstlerin steht als unsichtbare Instanz konsequent auf realistischer Augenhöhe in den Szenerien und vermittelt ihre »in_sights« dem Betrachter als Komplize, Psychologe, Voyeur oder amüsierter Zuschauer. Mit künstlerischen Mitteln, vorrangig Perspektive, Farbgebung, stilistischen Additionen und einer Ausdrucksvielfalt von körpersprachlicher Redegewandtheit verdichtet Landau das diffizile Geflecht ambivalenter Aufmerksamkeiten zum Spannungsbogen. Im Bildraum erwächst daraus eine Stimmung, die sich als einzigartige Atmosphäre abbildet.

Der nur scheinbaren Flüchtigkeit des Blicks entspricht die ebenso scheinbare, skizzenhafte Leichtigkeit der Malweise. Ohne aufwändige Betonungen und malerische Manieriertheit holt sie die Transparenz lasierender Untermalung und grafische Spuren in die mittel- bis großformatigen Ölmalereien und ist dabei präzise und vorausschauend abwägend in der Wahl der Mittel.

Ausgangspunkt für Landaus Malerei sind Fotografien, Fotomontagen und kombinierte Motive, aus denen in Weiterbearbeitung oder Übermalung Bildgehalt formuliert wird. Die Umsetzung auf der Leinwand verdichtet die willkürlichen Bezüge zwischen Betrachter und Objekt. Hier weicht die Leichtigkeit dem künstlerischen Ernst: die Irritationen, Auflösungen, Neuformierungen, die sich in der Übertragung der Bildelemente einstellen, behalten ihre Berechtigung als welthaltig und bleiben bestehen. Landau vertraut ihnen und ihrem sinnstiftenden Potenzial – ob eindeutig oder nicht. Hier erkennt man Landaus latentes Misstrauen gegenüber einer l’art pour l’art und ihre Ambition, über Bildgehalt und Thema hinaus vom Kunst- zum Weltgegenstand vorzudringen und auf die zeitgemäße conditio humana zu reagieren.

Tina Simon