Diskret und verbindlich

Anmerkungen zur Ausstellung »Diskretionsbereich« von Verena Landau

von Thomas Klemm

Viele Bedeutungsschichten sind zu sondieren, zu untersuchen und wieder neu zu ordnen bei der Auseinandersetzung mit dem »Diskretionsbereich«, den die Leipziger Künstlerin Verena Landau in dieser Ausstellung eröffnet.
Ausgehend von der Präsentation der Arbeiten Landaus im „white cube„ des Leipziger Kunstvereins wird zunächst dem Raum zwischen Werk und Betrachter neue Bedeutung geschenkt. Daß es sich dabei um keine banale Selbstverständlichkeit handelt, zeigen die Inhalte der vorgestellten Arbeiten. Der Verlust der Diskretionszone, mithin des Respekts vor dem Kunstwerk, ist für Landau ein Kernthema der bildnerischen Beschäftigung.
Eine weitere Ebene eröffnet sich in der Art der Darstellung von Räumen und den damit verbundenen Wirkungsabsichten. Landau begibt sich dabei zum einen auf die Suche nach gerade jenen diskreten Orten, die Privatheit suggerieren sollen, jedoch einer gestellten und auf die Öffentlichkeit zielende, bis ins kleinste Detail arrangierten Szene entspringen. Zum Anderen findet sich auch die aus früheren Arbeiten Verena Landaus bekannte Faszination für die Dimensionen von Räumen und Orten wieder. Dabei ist gerade die Synthese von Weite und Intimität respektive Öffentlichkeit und Diskretion einer jener Aspekte, die der Vielzahl der Bedeutungsebenen in den malerischen Arbeiten die nötige Geschlossenheit verleihen.
Zudem eröffnet sich bereits aus den Eigenarten des hier genutzten künstlerischen Mediums eine Reflexionsebene, die bei der Beschäftigung mit Landaus Arbeiten nicht unbeachtet bleiben darf. Auf dem traditionellen Weg der Malerei spürt sie ihren Fragestellungen nach, obgleich vielmehr Assoziationen an filmische oder fotografische Umsetzungen geweckt werden. Doch gerade die Malerei gewährt der Künstlerin wie auch dem Rezipienten jenen Diskretionsbereich zu den behandelten Themen, der die Spannung hält zwischen Kontemplation und kritischer Auseinandersetzung mit Welt.
In ihrem »Diskretionsbereich« agiert Verena Landau auf einem seit jeher schwierigen Feld im Kunstbetrieb. Über mögliche Fragestellungen zur Autonomie eines Kunstwerkes bis zur Positionierung eines Künstlers und seines Werkes in der Gesellschaft wird der diskursive Rahmen weit gespannt. Eine Grundlage bei allen auftretenden Fragen bleibt dabei stets die Dichotomie zwischen der wirtschaftlichen Notwendigkeit im Schaffensprozess und der Ökonomie als Feind der freien künstlerischen Äußerung. Dabei stellt Sie sich keineswegs in das Aktionsfeld ewig kulturpessimistischer Allgemeinplätze. Vielmehr entspinnen sich alle hier gezeigten Arbeiten aus einer Begebenheit, die Landaus Schaffen der letzten drei Jahre grundlegend dominiert: Im Mai 2001 erschien im Münchner Kulturteil der Süddeutschen Zeitung eine halbseitige Fotographie des ehemaligen Vorstandssprechers der HypoVereinsbank. Der Fotograf lichtete den als aggressivsten Banker Deutschlands berüchtigten Albrecht Schmidt vor einem Bild ab, welches Verena Landau kurze Zeit vorher an die Hypovereinsbank verkauft hatte. Banker und Bild verschmolzen zu einem Ensemble, das der Künstlerin nicht egal sein konnte. Das Absurde dieser Situation lag darin, daß es sich bei diesem Werk um eine gemalte Szene aus Pier Paolo Pasolinis Film „Mamma Roma„ handelte. Der Marxist Pasolini, nun selbst ohne jede Stimme, wird gleichsam degradiert zum Themengeber für die Selbstdarstellung und Inszenierung des Finanzkapitals. Neben einer zunehmenden Thematisierung der grundsätzlichen Schwierigkeiten einer Zusammenarbeit von Künstlern und großen Finanzinstituten war die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Managerportraits die Konsequenz Landaus aus dieser Situation.
Zugleich wurde das Nachspüren der vielfältigen Wege, welche ihre Bilder nach dem Verkauf gegangen sind, zum Leitmotiv für Landaus Projekt "vor dem nachbild". Im Duktus dieses künstlerischen Vorgehens greift sie nun Szenen auf, die das Sujet der Funktionalisierung von Kunstwerken zu Repräsentationszwecken teils karikieren, teils beobachtend wiedergeben, oft auch beides zugleich. Dabei will sie Standpunkt beziehen zu Einstellungen im Kunstbetrieb, zu wirtschaftlicher und politischer Macht, letztendlich auch zu Wirkungsmechanismen und -möglichkeiten der Malerei. All diese Aspekte sind keineswegs neu und ebensowenig – zumindest nicht kurzfristig – veränderbar, sie bedürfen jedoch einer ständigen Auseinandersetzung. Landau schafft dabei Deutungsangebote, mit denen sich der Betrachter identifizieren kann, ohne daß sie dabei der naiven Vorstellung verhaftet ist, allgemein gültige Aussagen zu treffen. Auch wenn man sich Landaus Deutungsangeboten nicht anschließen möchte, so können doch die von ihr ausgewählten Problemstellungen kaum unreflektiert bleiben.

Die wandfüllende Arbeit »Halle« zeigt eine Serie von Managerportraits auf Stellwänden in einer Ausstellungshalle. Doch die Szene ist weit mehr als die Dokumentation eines Ausstellungsbesuches. Von außen, zunächst eine Diskretionszone aufbauend, lenken die zwei mit Furnier bezogenen Bildträger den Blick in den Raum auf eine weitere Wand, die strahlend weiß und klar die Situation beherrscht. Ganz gegen die gewünschte Lesart der Ausstellungsmacher werden hier sonst entscheidungsmächtige Konzernchefs und Politiker zu tatenlosen und unwichtigen Beobachtern einer Szene, die sich deren Einfluß entzieht. Als säßen sie in einem Chorgestühl, welches auf den Altar des Nichts gerichtet ist, verstärken die mit so viel Eifer sich selbst stilisierenden Manager den Eindruck der nahezu sakralen Strenge der Raumsituation. Dabei überläßt es die Künstlerin vorbehaltlos dem Betrachter, das reinweiße Gravitationszentrum des Bildes als Verweis auf den horror vacui, als spielbereite Theaterkulisse oder lediglich als deskriptive Raumdarstellung anzusehen.
Das Spiel mit Andeutungen, Zitaten und Techniken aus verschiedensten malerischen Traditionen der Kunstgeschichte stellt für die Künstlerin einen wesentlichen Aspekt ihres Vorgehens dar. Das Motiv des Bildes im Bild, spätestens seit der holländischen Interieursmalerei fester Topos für Allegorien, Unausgesprochenes und Rätselhaftes spielt dabei eine Hauptrolle. Indem auch ihre eigenen Bilder immer wieder zum Gegenstand der Auseinandersetzung in nachfolgenden Arbeiten werden, eröffnet sich ein Reflektionsrahmen, der weit über das einzelne Werk hinausreicht. Die Fragen nach den Ursprüngen eines Werkes, nach Authentizität und Urheberschaft werden dabei in den Kontext von Funktion und Nutzen und Benutzung von Kunst gestellt. Es wird jener Fremdeingriff durch den neuen Besitzer in künstlerischer Weise aufgenommen und weitergeführt. Somit wächst der Interpretationsrahmen um ein Vielfaches: Von Funktionalisierungskritik über das Problematisieren der gängigen Ausstellungspolitik bis hin zur Selbstverortung der Künstlerin zieht sich die Spanne möglicher Lesarten.

In der achtteiligen Serie »Banker« nimmt die Malerin den Betrachter mit auf eine fast detektivische Suche nach ihrem oben erwähnten Bild in der Münchner Bankzentrale. Sie betritt dabei Orte, die für gewöhnlich nur einer kleinen Zahl meist männlicher Eingeweihter zugänglich sind. Ihrer Skepsis gegenüber jener Situation versucht sie durch den Transformationsvorgang von zunächst fotografischen Momentaufnahmen zu individuellen Wahrnehmungsbeschreibungen durch malerische Mittel entgegenzutreten. Landau nimmt die Fäden selbst in die Hand, sie eignet sich die Szene an und füllt so die uniformen Räume und Orte mit Ihren Vorstellungen, die sich zumeist zwischen Strenge und deren Auflösung bewegen.
Man ist versucht, die Serie wie einen Film zu betrachten und nach den vielen Szenen zwischen den Bildern zu fragen. Gesichtslose Gestalten bevölkern ihre Bildräume, eine Erhebung durch Licht blitzt höchstens einmal auf, wenn es durch eine Aufzugverkleidung reflektiert wird. Spätestens aber, wenn die Darstellung der Szene in angedeuteten Linien verharrt, wird deutlich, welche Anspannung die Atmosphäre erfüllt – Personen, die nicht zu Ende gemalt werden können, als scheue sich die Künstlerin vor dem, was sie im nächsten Moment zutage fördern könnte.
Landaus Spurensuche im feindlichen Terrain ist letztendlich erfolgreich: ihr Bild hängt als teure Tapete in einem der immer gleichen Gänge. Gänzlich unbeachtet von allen Vorbeieilenden wird es dort wahrscheinlich so lange hängen, bis wieder ein Banker und ein Fotograf ein repräsentatives Dekorum benötigen.
Auf eine andere Ebene hebt Verena Landau dieses Problem in ihrer Arbeit „Mächtige„. In einer Sonntagsausgabe veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung - nicht etwa im Feuilleton, sondern im Wirtschaftsteil – eine gesamte Seite mit Fotografien von Managern und Politikern vor ihren wertvollsten und liebsten Bildern. Unter anderem wieder mit dabei: Albrecht Schmidt vor Landaus "Pasolini-Still". Thema und Layout der Zeitung aufgreifend, entwickelt Verena Landau nun ein Konzept, in dem die Zeitungsseite neu ins Bild gesetzt wird, nur diesmal allein von der Hand der Künstlerin gestaltet. Wieder finden sich dabei Anklänge an verschiedenste kunsthistorische Gattungen und Epochen; von der Portraitmalerei der Jahrhundertwende über den deutschen Impressionismus bis hin zur Neuen Sachlichkeit ziehen sich die malerischen Ausflüge, die Landau in diesem Werk unternimmt.
Mit dieser Form der Aneignung des vorgefundenen Stoffes besitzt die Künstlerin nun alle Möglichkeiten, die Selbstdarstellungen der Mächtigen in ihr Gegenteil zu verkehren. So muß man sich denn fragen, ob sich besagte Manager und Politiker tatsächlich vor ihren eigenen Bildern wiederfinden, oder eventuell vor solchen, die Landau ihnen zugeschrieben hat. Fast scheint man ein kleines siegessicheres Lächeln der Künstlern zu spüren, wenn sie ihre Arbeit durch den der Zeitungspatina nachempfunden Farbauftrag am Ende noch jene Authentizität suggerieren läßt, derer sich sonst die Mächtigen ganz diskret bedienen.