Kein Ort. Überall

Zur Werkgruppe Passover und Level 01 von Verena Landau

von Silke Opitz

Architektur wird im Kunstbetrieb gerade in letzter Zeit häufig auf ihre Beziehung zu den Nachbardisziplinen hin untersucht. Im Diskurs geht es jedoch längst nicht mehr um den Sturz oder die erneute Inthronisation einer einstmaligen (und ohnehin stets umstrittenen) "Königin" durch alte Gattungen und neue Medien. Vielmehr öffnet die Architektur etwa mit "Topographie", "Urbanität" und "öffentlichem Raum" Begriffsfelder und einen Motivfundus, welche, auch für die anderen Künste, unerschöpflich scheinen. Die Spiegel- und Transmissionsfunktion von Welt durch ihre Fenster und Glasfassaden mag die Architektur an polyvalente Wände jüngerer Medien abgegeben haben.[1] Doch manifestiert und materialisiert sich das "Hier und Jetzt" auch in spezifisch architektonischen Formen, in besonderen Orten und deren wiederum besonderen Besetzungen und Eigenschaften. So widmet sich dann die zeitgenössische Fotografie- und Videokunst oft in diesem Kontext der zeitgenössischen Architektur. Und man meint, auch jene von Verena Landau gemalten Orte und die Stimmungen, die diese evozieren, vornehmlich aus dem Bereich der neueren Medien zu kennen, etwa aus Arbeiten von Miklos Gaál und Mona Brede oder Kalin Serapionov und Daniel Pflumm.

Tatsächlich und wie für das Schaffen der Künstlerin ohnehin charakteristisch, liegen auch den Gemälden der Werkgruppe Passover und dem (vorläufigen) Einzelbild Level 01 entsprechende Vor-Bilder zugrunde. Doch keine Angst, es handelt sich nicht um found footage aus Überwachungskameras oder Amateurvideos... Dafür sind die gewählten Bildausschnitte und -kompositionen einfach von Anfang an zu stimmig. Vor allem aber ist man als Betrachter viel zu nah am Geschehen, wenn es denn eins gibt, und auf Augenhöhe mit den Personen, die vielleicht doch nur als Figuren diese seltsamen Orte bevölkern.

Bereits in den unmittelbar vorausgehenden Bilderzyklen, bestehend aus "Banker", "Halle" und "Display" beschäftigte Verena Landau sich mit dem recht anämischen "Diskretionsbereich". Jedoch wirkte die Vereinnahmung eines ihrer noch früheren Gemälde durch die mitunter ebenfalls blutleeren Betreiber-Benutzer jener Orte letztendlich als sehr persönliche Erfahrung bis in diese Bildräume hinein.[2] Obwohl die Künstlerin nun für ihre neuesten Malereien sogar jeweils konkret vor Ort jeweils konkret denselben mit der Kamera aufgenommen hat, kann man sich nur sehr schwer des Eindrucks erwehren, all diese Schauplätze nicht nur bereits von anderen Bildern zu kennen, sondern selbst mindestens einmal schon dort gewesen zu sein. Aber wir sind nicht die ständigen Begleiter der Künstlerin... Zum einen mag dieser Eindruck entstehen, weil es sich dem malerischen Motiv nach um Nicht-Orte handelt, die im Vergleich zum früheren "Diskretionsbereich" noch "reiner" sind.[3] Flure und Vorhallen, Unterführungen und Rolltreppen, Flughäfen und U-Bahnstationen sind allesamt von Marc Augé gleichermaßen klug wie melodramatisch beschrieben worden:
"...Der Raum des Nicht-Ortes befreit den, der ihn betritt, von seinen gewohnten Bestimmungen. [...] Als Objekt einer süßen Besessenheit, der er sich mit mehr oder weniger Talent, mit mehr oder weniger Überzeugung hingibt wie jeder Besessene, genießt er eine Weile die passiven Freuden der Anonymität und die aktiven Freuden des Rollenspiels. [...] Der Raum des Nicht-Ortes schafft aber keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit. [...] Da Nicht-Orte durchquert werden, bemessen sie sich nach Zeiteinheiten. [...] Unter dem Ansturm der Bilder, die von den Institutionen des Handels und des Verkehrs in schierer Überfülle verbreitet werden, macht der Passagier der Nicht-Orte die Erfahrung der ewigen Gegenwart und zugleich der Begegnung mit sich selbst...".[4]

Wird man an jenen Nicht-Orten, die momentan und überall existieren, ganz auf sich selbst zurückgeworfen, erscheinen diese plötzlich viel weniger als Durchgänge oder Passagen. Und so unter- bzw. überstreicht Verena Landau mit ihrer Art der Transferierung fotografischer in malerische Bilder derselben genau diese ihre Eigenschaft: Der flächige Auftrag matter, fast monochromer Farben ebnet durch das Fehlen nahezu jeglicher Valeurs den verhalten zentralperspektivischen Tiefenraum ein. Details werden abstrahiert und einem beinahe geometrischen Bildaufbau untergeordnet, so dass etwa fluoreszierende Lichtbänder zu erloschenen Streifen gerinnen und bewegliche Stufen zu Balken erstarren. Die vornehmlich seit der Malerei der Renaissance, welche die Künstlerin bewundert, bekannten Rückenfiguren führen zwar den Betrachterblick auch in ihre Bilder. Doch fällt dieser stets nach unten, verliert sich in dunklen, den Bildfond zentrierenden Schlünden oder prallt vor die Barrikade freskospröder Farbwände. Somit wird jeder Aus- und Weitblick, jeder Transit - auch hinter der Glasfront - verwehrt und jeder Horizont versperrt. Und die spiegelnde Drehtür bringt ihren Betrachter-Benutzer gleich zweifach zu sich selbst zurück... Denkt man sich die trotz ihrer angedeuteten Bewegung steif wirkenden, gesichtslosen Figuren einmal weg, erinnern die von Horizontalen und Vertikalen dominierten Malereien an abstrakt-expressive Farbfelder oder, entfernter, an neoplastizistische Destruktionen. Mondrian hatte übrigens mit seiner 1917/18 publizierten Abhandlung "Neo-Plastizismus in der Malerei" nicht nur letztere als der Architektur weit überlegen gefeiert. Mit der malerischen Abstraktion von Form und Farbe gab er vor, universelle Ausdrucksmöglichkeiten gefunden zu haben und darüber eine "reine Beziehung" und "absolute Harmonie der Gegensätze"[5] zu ermöglichen. Was nicht zuletzt auch absolute Gleichheit und Austauschbarkeit bedeutet.

[1] Polyvalente Wände sind nach Mike Davies Informations- und Bildträger. Sie bilden das Interface eines kommunizierenden Gebäudes. Siehe dazu u. a. auch Mer, Marc, Das multiple Fenster. Vom Haus zur interaktiven Apparate-Architektur. In: Medien. Kunst. Passagen. (1992), Heft 1, S. 7-11.

[2] Siehe dazu ausführlicher den Text von Thomas Klemm im vorliegenden Katalog.

[3] "...Dabei gilt für den Nicht-Ort geradeso wie für den Ort, daß er niemals in reiner Gestalt existiert; vielmehr setzen sich darin Orte neu zusammen, Relationen werden rekonstruiert..." = Augé, Marc, Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit. Frankfurt am Main 1994 (dt. EA), S. 93.

[4] wie Anm.3, S. 120-121.

[5] nach Blotkamp, Carel, Mondrian. The Art of Destruction. London 1994 (Reaktion Books), Kap. The Content of all Arts is One: Neo-Plasticist Painting and the other Arts, p 128-167, hier p 128.


Silke Opitz, Kunsthistorikerin und freie Ausstellungskuratorin, lehrt an der Bauhaus-Universität Weimar