Zugänge, Anfälle, Täterschaften

Erstes Bild, farblos fast: Eine Frau, elegant gekleidet, läuft zielstrebig durchs Blauschwarz der Nacht auf eine leuchtende Fensterfront zu. Dahinter zeichnen sich an Spielautomaten schemenhafte Gestalten ab, männliche. Wir als Betrachter sind der Dame dicht auf der Spur, blicken auf ihre Rückseite.
Zweites Bild, farbiger: Eine Frau, rotgetöntes Haar, knielanger grüner Mantel, helle Bluse, dunkler Rock, betritt eine Eingangshalle. Zögernd läuft sie auf uns zu. Ihr Blick geht zur Seite. Sie wirkt verstört, gehetzt. Jemand beobachtet sie verstohlen. Trotz eines Vorhangs gibt das Fenster den Blick frei auf einen Wald großer runder Tanks, eine bedrohliche Industrielandschaft, durch die eine weitere Figur läuft. Oder ist es dieselbe, in einer früheren Szene?
Drittes Bild: Eine Frau im blauen Zweiteiler überquert langen Schritts einen schattigen Platz. Sie steuert ein helles Gebäude an, dessen Glasfront Offenheit suggeriert. Über den Zugang wacht jedoch ein Pförtner, wie bei solchen Bauten üblich. Typisch auch, dass in der Lobby ein Gemälde um Kunstsinn buhlt. Wir beobachten die Szene durch einen Gitterzaun. Unter dem Arm der Frau ragt eine Tasche wie eine Waffe hervor.

In der Motivfolge „access 01-03“ behandelt Verena Landau Themen, die weit komplexer sind, als es der erste Blick vermuten ließe. Im Werk der Malerin geht es immer um den Zugang zur Wirklichkeit, um ein Abgleichen von Wahrnehmung und Realität, um eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen Innen- und Außenraum, um die Spannung zwischen Bildraum und Ausstellungsraum. So auch bei „access“. Am Titel schätzt die Künstlerin die verschiedenen Bedeutungsebenen: Er bezeichnet den „Zugang“ zu Orten, Personen, Informationen, Werken. Er ist verwandt mit „accessory“, was „Mittäter“ und „Anstifter“ bedeuten kann. Und im Französischen steht „accés“ auch für „Anfall“.

Verena Landau variiert hier Themen, die ihre Arbeit seit Jahren begleiten. An der Überwindung der Grenzen zwischen Innen und Außen arbeitet sie im Grunde seit ihren Malerei-Anfängen auf den Spuren alter Meister 1990 in Florenz. In der der Diplomausstellung „Transformat“ präsentierte sie 1999 in einem alten Umspannwerk ihre „Pasolini-Stills“ derart, dass das Innen des Bildes als Außen des Raumes erschien, und dieses Außen wiederum auf das Innen der Filme Pasolinis verwies. Die Leinwand bevölkerten schon damals ähnliche Figuren wie 2006.
Frauentypen an Wendepunkten ihrer Leben: darauf fokussierte die Künstlerin in dem vor „access“ für das Kunsthaus Erfurt geschaffenen, 15-teiligen Tableau „break“. Das Personal entlieh sie Filmen von Antonioni, Bruni-Tedeschi, Tykwer, Wenders. 2005 in der Serie „passover“ galt ihr Augenmerk Menschen in Durchgangsräumen sowie der normierenden Wirkung dieser Räume.
Strukturelle Überlegungen beherrschten auch 2004 den „Diskretionsbereich“ und den "Feindbild-Verleih" – komplexe Arbeiten, welche die Instrumentalisierung der Kunst durch Politik und Wirtschaft thematisierten.

Wie Leitmotive finden sich diese Themen in „access 01-03“ wieder, wobei der Akzent klar auf den Frauenfiguren liegt, die aus gesellschaftlichen Rollen ausbrechen, Grenzen überschreiten, zu Tätern werden. Die Dame des ersten Motivs wirkt fremd in dem nächtlichen Paris, in dem Männer Vergnügen suchen. Die Dame des zweiten Bilds passt mit ihren Stöckelschuhen nicht in die Industriekulisse Ravennas. Nur bei der dritten Figur kann sich der Betrachter nicht sicher sein. Eilt sie womöglich ins Büro?

Verena Landau verrätselt ihre Bilder nicht. Sie vertraut auf die Malerei als probates Mittel, zur Kommunikation anzustiften und Welt zu reflektieren. Die Motive wählt sie akribisch, als Ausgangsmaterial dienen eigene Videoaufnahmen oder Spielfilme. Wer also sind die Frauen von „access 01-03“? Wofür stehen sie? Welche Vorgeschichte führte zu den auf Leinwand fixierten, malerisch modifizierten Szenen? Was wird auf sie folgen? Bei der Beantwortung sind hartgesottene Cineasten im Vorteil.

„access 01“ stammt aus dem Film, der Jeanne Moreau 1958 zum Star machte, Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“. Der Titelzusatz „Florence“ weist darauf hin. Frankreich nach der Niederlage im Indochinakrieg: Florence ist mit einem einflussreichen Waffenhändler verheiratet, jedoch unsterblich verliebt in Julien, einen Angestellten ihres Mannes. Sie will ein neues Leben beginnen und plant mit Julien den perfekten Mord. Nach der Tat bleibt der Geliebte im Fahrstuhl stecken. Florence, im nächtlichen, kalten, modernen Paris auf der Suche nach ihm, wird der Prostitution verdächtigt und verhaftet. Der Ausbruchversuch aus dem eigenen Leben endet tragisch.

„access 02“ konfrontiert den Betrachter mit der Ingenieursgattin Giuliana aus Michelangelos „Die Rote Wüste“ (1964). Giulana ist verwirrt, panisch, wie auf Droge. Sie hat „den Halt unter den Füßen“ verloren, vielleicht seit einem Autounfall, einem missglückten Suizidversuch, vielleicht schon länger. Sie will alles, erträgt wenig. Erst durch die unerwartete Bekanntschaft mit einem alten Freund ihres Mannes findet sie wieder zu sich, durch Ehebruch, das Überschreiten einer Grenze.

„access 03“ macht mit der radikalsten der drei Figuren bekannt. Die Philosophiestudentin Veronique aus Jean-Luc Godards „Die Chinesin“ (1967) verehrt Mao wie einen Popstar und greift zur Pistole, um Theorie und Praxis zu vereinen, die Gesellschaft zu verbessern, das „dreckige Geschirr“ zu beseitigen. Ihr erster Schuss trifft den Falschen, weckt in ihr aber keinen Zweifel an der Richtigkeit der Tat.

In gewisser Weise stehen die Motive für sich: Sie zeigen Frauenfiguren, die der Statik des sie umgebenden Raumes trotzen. Doch warum noch als Standbild malen, was man als Bewegtbild sehen kann? Verena Landau eignet sich den Bildraum künstlerisch an. Sie nimmt ihn als persönliches Erlebnis und lädt den Betrachter ein, es ihr nachzutun. Sie nutzt also ein kollektives Bild, um eine gemeinsame Erfahrung zu schaffen. Wenn Betrachter über Florence, Giulana, Vernonique ins Gespräch kommen, ist ein wesentliches Ziel bereits erreicht. Ein weiteres liegt im Prozess der Aneignung, der De- und Rekontextualisierung selbst. Was passiert mit dem Bild auf dem Weg aus dem Film in die Malerei? Man muss es vermutlich selbst einmal durchgemacht haben, um zu erkennen, dass bereits eine einzige Szene Welten und Abgründe beherbergt.

Hendrik Pupat